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Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777

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Werner Brück: Eine Debatte in Bern - und so auch anderswo: Reglement und/oder Leitfaden für Kunst im öffentlichen Raum.

Grenzenlos überbordet ausgeufert. Wie fragte das Wegwerfblättchen: »Ist das eine Fotomontage?« - Wohl dem, der seinen Horizont noch nie überschreiten musste. Fotomontage für den Flyer zur Podiumsrunde.

Die Gesprächsreihe »Tacheles« der visarte.bern feierte am 30.03.2010 das 50. Jubiläum. Der Anlass fand in der Kunsthalle statt. Die Berliner Berner Künstlerin Simone Zaugg moderierte Das Thema, 2008 von der Stadträtin Christine Michel (GB/JA!) motioniert, wurde seit jeher kontrovers diskutiert. Damals ging es um anteilige Gelder für Kunst im öffentlichen Raum, die von den gescheiterten Kunstprojekten »Tram Bern West« und »Hauptbahnhof« zurückbehalten wurden. Die Gelder wurden in einen Fonds überführt. Das Reglement soll diesen Fonds nun administrativ sichern. Es bildet damit die Grundlage für transparente Kulturarbeit - doch wird man um die Entwicklung kuratorischer Leitlinien für Kunst im öffentlichen Raum wahrscheinlich nicht herum kommen.

Rückseite des Flyer zur Podiumsrunde.

Veronica Schaller, Leiterin der Berner Abteilung Kulturelles, betonte die Trennung von Administration und Kuratur. Das Reglement schafft die Möglichkeit, alternativ mit der grossen Kelle anzurichten oder kleinräumiger zu streuen, da ein Fonds konkrete Gelder pluraler Herkunft versammelt und in ursprungsfremde Kunstprojektkontexte leitet. Die bisherige Praxis sieht anteilige Bauprozente vor, die je vor Ort verwendet werden sollen. - Reicht diese solide und sinnvolle administrative Grundlage des »Reglements« aus?

Ein Zürcher in Genf, Niklaus Strobel von »LegoVille«, kritisierte im Vorfeld die mangelnde Erlebnistiefe des öffentlichen Raumes in seiner stadtmöblierten Funktionalisierung. Eben jene Funktionalisierung prostituiere städtische Orte. Identitätslos gäben sie sich allen möglichen Rollen hin. Eine interessante position; man wünscht sich mehr solcher Anregungen. Strobels Anspruch läuft darauf hinaus, dass gute Kunst trotz, und nicht wegen des öffentlichen Raumes stattfinde. In monumentalen Bauaufgaben liesse es sich grandios scheitern. Wo, fragte er mich, positioniere sich Bern in diesem Feld? Übernehmen Denk-Male Meinungsführerschaften? - Natürlich kann so einfach nicht geurteilt werden, denn Herr Strobels Denkanstoss betont die Achsenbildung. Und jene bedeutet gerade die Flucht weg von der Phänomenologie des Unortes. In Masterplänen drohen gerade jene funktionalisierten Orte unberücksichtigt zu bleiben, die ansonsten mit anteiligen Bauprozenten bespielt würden, auch wenn da der Verdacht der »Dekoration« entstehen mag.

Für die Problematik der »Dekoration« gelte es zu sensibilisieren, wie Astrid Ochsenbein, Kunsthistorikerin und ehemalige Präsidentin der Kantonalen Kunstkommission herausstrich. Lokale Situationen wie Überführungen, Plätze, Verkehrskreisel, Tunnel seien schwierig und verlangten nach Wettbewerben, die von kompetenten Kunstschaffenden und kompetenten Fachjuries entschieden werden sollten. Der Westschweizer Künstlerin Ariane Epars zufolge liesse sich fragen, ob schmalere Bauvolumen überhaupt eigene Projektausschreibungen lohnten oder ob die anteilige Summe für Kunst im öffentlichen Raum nicht besser im Fonds aufgehoben wäre. Beide jedoch, die Künstlerin und die Kunsthistorikerin, betonen aber, dass Kunst im öffentlichen Raum der musealen Kunst mindestens ebenbürtig sei. Sie spreche ein grösseres Publikum in stärkerer zeiträumlicher Intensität an, so Frau Epars, und sie stelle ein wichtiges Mittel zur Rückeroberung des öffentlichen Raumes dar, der zunehmends von Verkehr und Marketing in Anspruch genommen werde, so Frau Ochsenbein. Der Philosoph und Musikwissenschaftler Wolfgang Böhler fordert nicht nur akustische Raumplanung, sondern auch echte Diskussionen über Kunst, in denen ruhig die Fetzen fliegen und Volkes Stimme vernommen werden sollten - auch gegen die Befindlichkeiten pikierter Kunstschaffender, die Kritik an eigenen Werken eher unterbinden wollten. Er unterstrich damit Frau Epars Anspruch der Wichtigkeit von Kunst im öffentlichen Raum. Kurzum: ein Reglement mit administrativem Charakter auf städtischer Ebene reiche eben nicht aus, meinte Frau Ochsenbein, die Disparatheit unserer öffentlichen Lebenswelt zu bekämpfen: »Wir brauchen einen Leitfaden, das Reglement ist nur der Rahmen!«

Eine solche Verfahrensanweisung mit dem Namen »Leitfaden 2009 für Kunst im öffentlichen Raum« wurde bereits in Zürich realisiert. Eine Arbeitsgruppe für Kunst im öffentlichen Raum mit eigener Geschäftsführung und externem künstlerischem Vorsitz sei innerhalb der von Frau Karin Frei Bernasconi geleiteten Fachstelle »Kunst und Bau« beim Amt für Hochbauten angesiedelt. Sie sammele Anregungen und Anforderungen und bringe Kunstprojekte in eine stadträtliche mit vier Stadträten besetzte Delegation für stadträumliche Fragen ein. Das gelte nicht nur für strategische Zielsetzungen und dauerhafte Grossprojekte, sondern auch für temporäre Vorhaben, die durchaus zukunftsweisenden Charakter haben dürften. Der Leitfaden ermögliche der Geschäftsleitung die Vorbeurteilung von Projekten nach kohärenten und dauerhaften Kriterien. Kontroverse Fälle würden direkt im Gremium in der Arbeitsgruppe diskutiert.

Veronica Schaller sieht in einem solchen Leitfaden samt den dazugehörigen Stellenprozenten die Chance, Kunst im öffentlichen Raum nicht nur zu inventarisieren, sondern auch Entwicklungspotentiale in den Quartieren zu definieren. Doch stehe dem Wunsch die angespannte Haushaltsrealität entgegen. So könnten z.B. keine Stellenprozente für planerische Aufgaben im Rahmen kuratorischer Leitlinien eingerichtet werden. Es sei nach alternativen Wegen zu suchen, wobei Frau Schaller die gute Zusammenarbeit der Stadt mit den Fachkommissionen betonte. Karin Frei Bernasconi bemerkte hierzu, dass die notwendigen 100-Prozent-Stellen in Zürich vom Stadtrat beschlossen und als plurale Stellenprozentesammlung aus vielen verschiedenen Ämtern erreicht worden seien. - Natürlich stellt sich damit die Frage, ob sich Bern mit einer solchen Lösung anfreunden könnte. - Der entwicklungsspezifischen Positionierung Zürichs sei ein mehrjähriges Forschungsprojekt mit der Erarbeitung eines Leitbildes vorangegangen. Wichtig sei hier die konstruktive Fantasie aller Beteiligten, vor allem auch der Fachbehörden des Gemeinwesens (Tiefbauamt, Hochbauamt, Städtebau, Stadtgrün usw.) gewesen, aber auch die Ideen der KünstlerInnenschaft und die öffentliche Diskussion.

Diesen Standpunktvertritt auch Astrid Ochsenbein. Die Kunstschaffenden sollten von Anfang an einbezogen werden und sich vor allem auch beteiligen. Das Interesse z.B. der kantonalen Ingenieure an Kunst im öffentlichen Raum sei vorhanden. Kunstschaffende sollten sich überhaupt auch auf neue Situationen im öffentlichen Raum einstellen: schöne Projekte brächten nichts, wenn sie innerhalb der Raumplanung nicht umsetzbar seien und im täglichen Klein-Klein der Administration mühelos z.B. mit Sicherheitsbedenken gebodigt werden könnten. - Worauf die Moderatorin fragte, welche Rolle denn die Kunsthochschulen hinsichtlich der Ausbildung oder etwa der Sensibilisierung der Kunstschaffenden hinsichtlich des öffentlichen Raumes spielten. Zu Bern wusste niemand eine Antwort. Ariane Epars zufolge existierten in Städten wie Sierre und Genf durchaus Studiengänge, die sich mit Kunst im öffentlichen Raum beschäftigten. Das Interesse der Studierenden sei gross, die Kunsthochschulen müssten grössere Projekte entwickeln, damit jene an der Praxis lernen und von Austausch und Vernetzung profitieren könnten. Erwähnt wurde auch die langjährig bestehende Initiative der visarte.zentralschweiz, die mit selbst erarbeitetem Know How beraten kann.

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