Werner Brück: Internetpräsenzen mit kunst- oder kulturbezogener Aufgabenstellung.
Vorbemerkung
Websites, die sich der Darstellung und Verbreitung künstlerischer, geisteswissenschaftlicher oder kulturbezogener Äusserungen sowie deren pädagogisch-didaktischen, wissenschaftlichen oder redaktionellen Aufbereitung widmen, gelten in der Folge als "Netzpräsenzen mit kulturbezogenem Fokus (NKF)". Um den verschiedenen Dimensionen von Kommunikation und Publikation gerecht zu werden und damit effektiv zu funktionieren, müssen NKF den Ausdruckmöglichkeiten ihrer jeweiligen Kommunikationsmitteln Rechnung tragen und sich von alternativen Kommunikationsmitteln scheiden lassen können. NKF verfügen entsprechend Ihres Auftretens im Kontext des WWW über einen ausgeprägt dynamischen statt einen statischen Charakter. NKF sind als Prozesse zu handhaben, weniger als Produkte, von denen sie sich grundlegend unterscheiden.
Übersicht
An NKF sind im Kontext Ihrer Leistungserbringungsprozesse eine Reihe thematischer Schwerpunkte gebunden, von denen die wichtigsten hier angesprochen seien. Die Formulierung möglicher Ziele einer NKF steht im Vordergrund. Sodann setzt die Selbstbefragung beteiligter Personen ein: hinsichtlich ihrer technischen und kognitiven Kommunikationsfähigkeit, ihres Zeitrahmens bzw. Zeitplans, ihrer Kompetenz zu Outsourcing und Controlling, ihres Verständnisses zum Unterschied zwischen tradioneller und webbasierter Informationsvermittlung sowie hinsichtlich der Zukunft der NKF nach dem ersten Release. Des weiteren ist das Konzept der Informationsvergabe zu bedenken: in Hinsicht auf die Vollständigkeit der Behandlung eines Themas, der Erstellung didaktisch oder redaktionell aufbereiteter Texte im Vergleich zu blossen Informationssammlungen, in Hinsicht auf Wertungsvorhaben, in Hinsicht auf wirtschaftliche Erwägungen sowie in Hinsicht auf mögliche Zielgruppen. Medienreflexion als Begründung des Einsatzes des WWW als gewähltes und adäquates Medium der Informationsvergabe macht Sinn. Ebenso die gewissenhafte Kostenaufstellung für die Realisierung in Bezug auf Arbeitskräfte und Zeit, für technisches Arbeitsmaterial (Dateninfrastruktur, Arbeitsplatzrechner, Arbeitsplätze, Webserver, Lizenzen), für Informationsbeschaffung, Informationsaufbereitung und -redaktion, für den korporativen Auftritt der NKF, für laufende Kosten für Bereitstellung und Instandhaltung der NKF. Schliesslich erfolgt die Realisierung der NKF, gefolgt von der strategischen Zukunftsplanung für die NKF.
Anliegen einer NKF
Planvolle Überlegung ist zwar kein hinreichender, so doch aber ein notwendiger Bestandteil eines erfolgreichen Handelns. In diesem Sinn sollte die realisierte Existenz einer NKF sowohl ihr eigenes Ziel als auch ihre eigene Methode zur Zielerreichung verdeutlichen. Dies betrifft die Virtualisierung von Primär- und Sekundärquellen in digitaler Form (z.B. Kunstwerke im original oder in Abbildungen sowie Texte über diese), die Beantwortung nach der Art und Weise dieser digitalen Virtualisierung samt ihrer didaktischen oder redaktionellen Begleitprozesse und letztlich auch die explizite Zielgruppenansprache (nach Neigungsdifferenzierung), wodurch in der Summe Paradigmata erfolgreichen Handelns im WWW gebildet werden, an die Dritte anknüpfen können. Zur medialen Produktion gesellt sich also eine mediale (Selbst-)Refexion, was in dieser Zweigleisigkeit erfolgreiche kulturelle Praxis ausserhalb des WWW widerspiegelt. In diesem Sinne fungieren der Nachweis von Resultat und Genese als plausible Begründung der NKF und belegen deren aufrichtiges und in Bezug auf Kommunikationspartner freiheitliches Kommunikationsanliegen.
Technische + mentale Kommunikationsfähigkeit
Zu befragen sind technische Hintergründe. Web2.0, Ajax, HTML, PHP, MySQL-Datenbankanbindung, PDF, Css, JavaScript, Java, DHTML, multimediale Dateien: sind die Spezifikationen bekannt oder besteht der Wunsch, sie sich anzueignen? Sodann muss gefragt werden, wieviel Zeit und Geld zur Kommunikation aufgewendet werden kann? Welche Argumentationslinie verfolgen die kommunikativen Partner? Sind Feedbackmöglichkeiten hinsichtlich der Planung bzw. Realiserungsmöglichkeiten und -tatsachen gegeben, und wenn ja, wie sehen diese aus? Erfolgt eine offene Kommunikation über realiserte Projekte jedwelcher Seite, die Besprechung ihrer Erfolgsstrategien, -chancen und -fakten, die Gegenüberstellung des eigenen Ansatzes?
Zeitrahmen
Projektphasen der Erstellung einer NKF (vergrössern)
Die vorstehende Übersicht thematisiert die einzelnen Projektphasen der Erstellung einer NKF im zeitlichen Mit- und Nacheinander.
Outsourcing und Controlling
Als Instanzen einer Website-Erstellung (abhängig von Kapitaleinsatz und Projektumfang) gelten Planung und Koordination mit AuftraggeberInnen, ProjektmanagerInnen, IdeenlieferantInnen, sodann die Realisierung durch ProgrammiererInnen, Internet Service Provider, (Web-)DesignerInnen, TesterInnen, ferner FotografInnen, RedakteurInnen, LektorInnen, Freiberufliche, PraktikantInnen, DokumentarInnen, FachwissenschaftlerInnen, schliesslich die Kontrolle und Verantwortung durch AuftraggeberInnen, ProjektmanagerInnen, JustiziarInnen, KuratorInnen und endlich die Wartung und Aktualisierung durch Angehörige aller Instanzen.
Unterscheidung: traditionelle vs. webbasierte Informationsvermittlung
Die gedruckte Publikation befindet sich auf einem festen materiellen Träger (v.a. Papier), im zweidimensionalen Layout mit festen Grössen und Relationen in Zeichen, Absätzen und Seitenformatierungen. Massgabe ist eine layouttechnische Auszeichnung im Sinne fehlerfreier und lektürefördernder Typografie. Es kommt zur Bereitstellung statischer Inhalte im linearen Kommunikationsverlauf in Leserichtung von links oben nach rechts unten und von Anfang bis Ende. Beispiele seien Kataloge, Broschüren, Aufsätze, Monographien etc., Dateiformate in einer Auswahl seien *.ps, *.pdf, *.doc, *.rtf, *.txt.
Die webbasierte Publikation erfolgt mit Hilfe elektronischer immaterieller Träger in Bits als elementaren binären Schaltzustände. Es kann ein mehrdimensionales Layout mit variablen Grössen und Relationen in Zeichen, Absätzen und Seitenformatierungen nach Massgabe einer logischen Auszeichnung erfolgen, in layouttechnischer Abhängigkeit vom Anzeigegerät des Besuchers. Dabei werden auf gleicher Anzeigefläche dynamische, dh. wechselnde Inhalte erzeugt. Hypertextualität ermöglicht einen mehrdimensionalen Kommunikationsverlauf. Beispiele seien Websites, CMS, Datenbanken und deren Frontends, Wikis, Dateiformate in einer Auswahl *.pdf, *.html, *.php, *.asp.
Zukunft einer NKF nach dem ersten Release
Die Zukunft einer NKF nach dem ersten Release sollte eine stetig aktualisierte Bereitstellung von Infomationen beinhalten, was redaktionelle Arbeit, d.h. Informationsrecherche und -aufbereitung, Anfertigung von Abbildungen, Programmieraufwand, Geldaufwand, Kontrolle der Konkurrenzfähigkeit umfasst.
Eine Bereitstellung communitybildender Features, d.h. eines Gästebuch, einer Besucherdatenbank, Austauschforen , virtuelle Shopsysteme mit Anbindung an Teile der Leistungserbringungs- und Warenwirtschafts- sowie Reklamations- und Schadensmanagementprozesse ist z.T. sehr sinnvoll. Gleiches gilt für Newsletter, Mailinglisten, periodisch aktualisierte Rubriken mit Diskussionsmöglichkeiten.
Die Ausarbeitung netzpräsenzbegleitender Massnahmen z.B. in Form von Schul-, Besucher- und Kundenkontakten und die Arbeit mit speziellen Besuchergruppen im realen Zusammenhang erweist sich ebenfalls als Mittel zur Bewusstseinsbildung und aktiver Bedarfsorientierung.
Diese Aspekte sollten bei der Ausarbeitung weiterer Releases, d.h. neuen NKF mit modifizierter Konkurrenzfähigkeit, entsprechend den Erfahrungen mit der ersten NKF berücksichtigt werden.
Konzepte der Informationsvergabe
Informationsvergabe steht und fällt mit der Vollständigkeit und dem Preis zur Verfügung stehender Informationen und ihrer Auswahl. Ein klassisches Modell ist die elektronische Variante eines Werkkataloges aus Basisinformationen, bei bildenden KünstlerInnen: Name, Titel, Zeit, Material, Technik, Masse, Inv.-Nr., Ort, Rechte, involvierte Körperschaften und Personen, Kurztexte.
Gekreuzt werden kann dieses Konzept durch die Orientierung paradigmatischer Studien an möglichen Zielgruppen, z.B. in Unterscheidung in Alter und Neigung, Kunstinteresse, Musikalität, Literatizät, zeitgeschichtliche Kenntnis. Denkbar sind auch konkrete Aspekte der musealen Sammlungsgeschichte, des Rechtes, psychologischer Studien, von Fragen der Gegenstandssicherung und -wiederherstellung, des Fälscherwesens, des Kunstmarktes.
Sinnvoll ist im Sinne der pädagogischen Didaktik die Entwicklung von Beispielbiografien möglicher Besucher, die Erstellung von Benutzerprofilen: FachwissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, FälscherInnen, HistorikerInnen, MusikwissenschaftlerInnen, MuseumspädagoInnen, Kunst- und LiteraturhistorikerInnen, Journaille, SammlerInnen, Studierende, BesucherInnen, SchülerInnen, EntscheidungsträgerInnen. So steigert man die Wahrscheinlichkeit, bestimmte, vorher definierte Zielgruppen anzusprechen.
Verbleibende Informationen dienen einer untergeordneten Veranschaulichung. Dazu zählt die Materialsammlung. Diese unterscheidet in visuelle Materialien wie Dokumentationen von Techniken von Künstlern, Detaildokumentation, Ikonographie, Biographie, Zeitgeschichte, Portraits, Filmmaterial, Werke der KünstlerInnen und anderer, Restaurationsbefunde, sowie in akustische Materialien wie Soundfiles mit Geräuschkulisse, zeitgenössische und neuere Aufführungen von Musikstücken, Thematisierung von Tonträgern und Techniken der Aufnahme, und schliesslich in literarische Materialien wie Texte der Epik, Dramatik, Lyrik, Gebrauchsliteratur mit ihren informierenden, wertenden, autobiographischen Texte. Denkbar sind auch tiefenstrukturelle Vergleiche zwischen Prätexten und Folgewerken, Aspekte der Intertextualität.
Wichtige Voraussetzung zur Informationsvergabe ist jedoch die Erstellung eines systematischen und leistungsfähigen Ansatzes zur Informationssammlung, -aufnahme, -verarbeitung und -auslieferung. Hierzu eignet sich z.B. die Atomisierung von Informationen in Datensatzform in normalisierten Datenbanken. Sinnvoll sind heute Rückgriffe fertige Content Management Systeme wie Weblogs, um sich in redaktioneller Hinsicht ganz dem Inhalt widmen zu können.
Medienreflexion - Projekte nur als NKF-Realiserungen
Hinsichtlich der vollständigen Substitution von Printmedien durch eine NKF sowie hinsichtlich des handlungsspezifischen Alleinstellungsmerkmales einer NKF ist als Positivaspektierung anzuführen: die Möglichkeit des differenzierten Eingehens auf Benutzergruppen durch Verlinkung, die Bildung von Besuchergemeinschaften ohne Zeit- und Ortsabhängigkeit, der internationale Anspruch und Präsenz ohne erhöhten logistischen Aufwand, die direkte Feedbackmöglichkeit, die Vergabe von Informationen durch Newsletter, die moderierbare Diskussionstätigkeit, die bereitstellung eines Forums zur Meinungsäusserung bzw. für Hinweise und Anregungen, das spielerisch-intuitive Lernen durch Lean-Forward-Ablauf, die Förderung des Bewusstseins für Kulturgüter als High-Involvement-Produkte mit Forderung nach intensiver Auseinandersetzung.
Strategische Zukunftsplanung einer NKF
Was geschieht mit der NKF nach Bereitstellung und Veröffentlichung im WWW? Besteht ein Überarbeitungs- und Ergänzungsplan? Erfolgt die Integration in weitere Projekte, z.B. in die schulische Ausbildung? Gibt es netzbasierte Kooperationsmöglichkeiten mit weiteren NKF-Anbietern zu Einzelthemen oder breiteren Themenkomplexen? Ist eine Dachstrukturierung bzw. Subordination sinnvoll oder ist die Autonomie einer NKF als parallele vernetzte Welt anzustreben?
W.B.
recenseo
Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777