Werner Brück: Gedanken zum Unterschied zwischen digitaler und analoger Fotografie. Um zu beurteilen, wann der Einsatz digitaler Aufnahmetechniken in der Fotografie einem Einsatz analoger Techniken vorzuziehen ist, soll an dieser Stelle auf einige Unterscheidungen im Medium hingewiesen werden, die in der gegenwärtigen Diskussion zu kurz kommen.
In der Digitalfotografie liegt das Foto in elektronisch codierter Form vor. Die binäre Speicherung der Bildinformationen erlaubt prinzipiell die Ausschaltung des medialen Rauschens, wie es in der analogen Fotografie auftritt, wenn das Bild mehrfach kopiert wird. Dort machen sich z.B. die Körnigkeit des Kopiermaterials sowie die Abbildungsfehler der jeweiligen Aufnahmeobjektive störend bemerkbar - eine Vervielfältigung durch Umkopieren z.B. wird immer Bilder bringen, die in der Zahl ursprünglicher Informationen hinter dem Original zurückstehen.
Auch Alterungsfaktoren bezüglich des Aufnahmematerials wurden in der Digitalfotografie ausgeschaltet, da die Bildinformation prinzipiell unabhängig vom Speichermedium vorliegt - anders als in der Analogfotografie, in der die Bildinformation nicht ablösbar vom Kunststoff- oder Papierträger des Negativ- bzw. Positivmaterials ist.
Der Begriff der "Alterung" in der Digitalfotografie bezieht sich eher auf das Speichermedium, das man jedoch beliebig austauschen kann, ohne Bildinformationen zu verlieren, sowie auf die Lese- und Verarbeitungssoftware, die man aktualisieren sollte, bedient man sich neuerer Computer und Betriebssysteme.
"Archivierung" bedeutet in der Analogfotografie die Sicherstellung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, die Ausschaltung chemischer und physikalischer Einflüsse - in der Digitalfotografie gewinnt aber die Softwareaktualisierung an Bedeutung, die Bereitstellung geeigneter Lese- und Verarbeitungsalgorhythmen sowie das rechtzeitige Umkopieren auf frische Datenträger, die in 15 Jahren noch lesbar sind. Was die Lesbarkeit analoger Medien angeht, so sei auf das Gleichbleiben des optischen Vergrößerungsprinzips verwiesen: auch mit neuesten Vergrößerungsgeräten und chemischen Prozessen lassen sich z.B. in der SW-Fotografie von Negativen aus dem 19. Jahrhundert Positiv-Abzüge herstellen.
Ein Besuch der Art Frankfurt am 30. April 2005 bot die Gelegenheit, GaleristInnen nach dem Unterschied in der Haltbarkeit von Silbergelatineprints bzw. SW-Abzügen auf Barytpapier zu fragen und die Antworten mit ihren Aussagen zu Farbpositivmaterial und Ausdrucken von Druckern zu vergleichen. Das Spektrum an Antworten reichte vom Zugeständnis einer nur eingeschränkten Haltbarkeit von Colorabzügen (nicht Dye-Transfer-Prints) und Pigmenttintenausdrucken gegenüber einer wesentlich längeren Haltbarkeit der Barytabzüge, also von Bedauern und Problembewußtsein, bis hin zu offener Aggression: "So ein Schwachsinn, die ganze Debatte," und überhaupt sei die ganze Fragerei unsinnig, schließlich arbeite man mit den besten Materialien und Techniken, meinte einer der Anbieter, die am meisten für ihre Bilder verlangen. Auf die Werke jedenfalls ging keiner der Anbieter ein, nämlich in der Weise, den Preis bzw. Marktwert einer Fotografie aus Inhalt und Sehweise zu begründen. Wie plausibel hätte man von der bloß technischen Auffassung wegkommenund ein klassischeres Galeristengespräch über Bildkonzepte und KünstlerInnen führen können! Doch, es gab auch zu KünstlerInnen Antworten: "Der Künstler ist zwar nicht hier, aber in seinem Heimatland sehr bekannt" - ergo ist seine Kunst gut und ihren Preis wert.
Unzufrieden damit, brachte ich bei Peter Schlör diesen zweiten Aspekt zur Sprache. Peter Schlör / Galerie Bernhard Knaus zeigte panoramaartige SW-Landschaftsaufnahmen aus dem südlichen Afrika. Es handelt sich dabei um die Bilder
Peter Schlör platzierte die bildwichtigen Lichter in Zone V, so daß die dunkleren Partien des Bildes in Zone 0 - IV fielen. Der Himmel tauchte in 0 ab, so daß sich eine tiefschwarze Fläche über einem helleren Horizont ausbreitete. Bei diesem Horizont handelte es sich um ein langgestrecktes Bergmassiv. Schlör fuhr entlang dieses Massivs und machte alle 100m ein Bild. Die digitale Aufnahmetechnik gestattete es, die Einzelbilder am Computer gleich in einen nahtlosen horizontalen Streifen zusammenzufügen. Später wurde diese Datei dann auf Papier vergrößert.
Nur mit Hilfe der Digitalisierung stellten sich Schlör die Grundlagen für diese nahtlose Zusammenfügung zu jenem queroblongen Streifen Bergmassivs, die in Frankfurt zu sehen war. Die Betonung liegt auf "nahtlos", denn: das Verfahren gab es ja schon länger, seit Muybridge, und jeder, der ernsthaft Panoramen zu fotografieren versucht hat, weiß, daß man prinzipiell zwei Möglichkeiten hat, vorzugehen - in Einzelbildern, die zusammengefügt werden, oder mit Hilfe einer weitwinkeligen Panoramakamera.
Mit der ersten Möglichkeit hat man im analogen Verfahren Nähte an den Stellen, an denen man die Einzelbilder zusammenfügt. Benutzt man zudem noch eine Objektmessung, so liegen unterschiedliche Bildhelligkeiten in den Einzelbildern vor. Somit würde, zusammen mit Nähten oder Stegen, die Verfertigung des Panoramas über die Bildintention hinaus betont. Man erfand zur Lösung des Problems die Panoramakamera. Allerdings hätte diese die ganze Bergkette von einem zentralen Punkt her aufgenommen. In künstlerischer Hinsicht läge also eine Subjektzentrierung der belichteten Welt vor.
Auf Subjektivität und Objektivität in der Fotografie möchte ich nicht eingehen, weil diese Begriffe zu oft gebraucht werden, oft sogar mißbräuchlich, zumindest aber unverständlich. Mir scheint der Begriff der "Nachahmung" interessanter, weil dadurch auf Abgebildetes und Abbildung bezuggenommen wird, was allerdings oft in einer zu populären Sprechweise gleich wieder mit "Realität" in Zusammenhang gebracht wird. Unterscheidet man mit Paul Ricoeur drei Arten von "Nachahmung", nämlich die figurative Nachahmung der Natur durch das Schaffen des Künstlers, die Nachahmung im vorliegenden Werk, also dessen bildliche Repräsentanz, sowie die refigurative Nachahmung im Betrachten durch den Betrachter, so fällt auf, daß die der digitalen Aufnahmesituation nachgeordnete Bildbearbeitung wesentlich zum Schaffen digitaler Bilder gehört und schon in der Aufnahmesituation angelegt ist. Damit ist die figurative Nachahmung in der Digitalfotografie ein sehr vielschichtiger Prozess.
Dem ist in der analogen Fotografie nicht so. In der Farbfotografie nicht, in der Prozesstemperaturen auf ein Viertel Grad Celsius eingehalten werden müssen und in der in einer Blackbox entwickelt wird, und in der SW-Fotografie idealerweise ebenfalls nicht: nur so kann Peter Fischer-Piel in seinem Buch über "Das Zonensystem in der Schwarzweiß- und Farbfotografie" behaupten, Dichte, Kontrastumfang und alle anderen Bildeigenschaften würden durch die Belichtung und Entwicklung des Negativs gesteuert, und die Positivverarbeitung müsse aus Gründen reproduzierbarer und prognostizierbarer Bildergebnisse stets konstant gestaltet werden, was so gesehen möglich, jedoch nicht unbedingt praktikabel ist. Darum scheiden sich an dieser Stelle die Geister: neben den unbedingt Technikgläubigen, deren Dunkelkammerverfahren standardisiert sind, gibt es auch eine Fraktion der Experimentatoren, die versuchen, noch in der Ausarbeitung der Positive manipulierend einzugreifen.
Schlör hingegen arbeitet am Computer und setzt mit dessen Hilfe die Einzelaufnahmen des Bergmassivs aneinander. Er schafft eine beliebig ausbelichtbare Datei, die als Prototyp für beliebig weitere, hinsichtlich der Bildinformation identische Kopien dienen kann. Die einzigen Unterschiede zwischen jenen Kopien sind übrigens Speicherort und Speicherzeit. Sind auf diese mediale Wesenseigenschaft bisher schon KünstlerInnen eingegangen?
- Befassen wir uns zunächst jedoch noch weiter mit den chemisch-physikalischen Eigenschaften von Fotografien und deren Niederschlag im Preis. Gegenüber dem bisher über die Digitalfotografie Gesagten liegt in der analogen Fotografie das Negativ bzw. das Diapositiv in einmaliger Form vor und ist hinsichtlich seiner Reproduzierbarkeit und hinsichtlich seiner Verwendbarkeit zeitlichen Grenzen unterworfen, die durch die Haltbarkeit und den Verlust von Bildinformationen durch Kopierprozesse bedingt sind. Dies führte zu bestimmten Ausprägungen in der Verkaufspraxis mit analoger Fotokunst. Bevorzugt wird der archiv- und präsentationsresistente Ausdruck auf Bromsilberpapier oder in Dye-Transfer-Technik bzw. anderen Edeldruckverfahren. Es werden nur bestimmte Materialien benutzt, die sich nicht nur durch optimale Leuchtkraft und Tonwertreichtum auszeichnen, sondern auch haltbarer sind. Oft unterstützen Techniken der Tonung das Haltbarkeitspostulat. Hier werden die chemischen Bestandteile eines SW-Fotos in haltbarere Substanzen überführt. Hinzu kommen Verfahren wie archivfeste Wässerung, die Ausstellung hinter UV-absorbierendem Museumsglas usf.
KäuferInnen bevorzugen neben der soliden handwerklichen Verarbeitung auch ein solides bildkünstlerisches Können. Dieses zeigt sich im sog. "Vintage-Print", dem ersten autorisierten Abzug aus der Hand des Künstlers oder einer von ihm beauftragten und beaufsichtigten Person. Dieser Abzug zeigt das Bild so, wie der Fotograf bzw. die Fotografin es sich vorgestellt hat, wobei weitere Bearbeitungsmöglichkeiten ausgeklammert werden. So weist der Vintage-Print in zwei Richtungen: in die Vergangenheit, indem das solide bildkünstlerische und handwerkliche Können nachgewiesen wird, und in die Zukunft, indem die Möglichkeiten im gegenwärtigen Abzug verankert werden.
Manche SammlerInnen sammeln vor allem unkorrigierte Vintage-Prints, dh. Abzüge ohne Nachbelichtung oder Abwedeln einzelner Bildpartien. Ausschnitte dürfen ebenfalls nicht begrenzt werden. Vielmehr soll der Rand des Positivs den Rand des Negativs bedeuten, um feststellen zu können, ob FotografInnen nachträglich manipulierten, um die Bildaussage zu verstärken oder den Bildinhalt zu verdichten. Manche favorisieren solche Werke, da sie zeigen, wie fortgeschritten das künstlerische Denken vor dem Hintergrund der antizipierten handwerklichen Technik schon im Sekundenbruchteil der Belichtung ausgeprägt ist.
Der Erstabzug erster Hand dient also als Authentifizierungsinstrument in der analogen Fotografie, und diese Auffassung verdanken wir wesentlich dem Denken, daß KünstlerInnen schon im Moment der Aufnahme die Bildinhalte, die Bildwirkung und die Bildaussage zu antizipieren, zu prävisualisieren haben. Und diesem Authentifizierungsinstrument in der analogen Fotografie sind alle weiteren Abzüge und Kopien nachgeordnet. Vergleichbares findet man in der Musik, in der Praxis der Erstaufführung unter Leitung des Komponisten. Solche Abzüge werden auf dem Kunstmarkt am höchsten gehandelt. Es sind zugleich die frühesten Abzüge.
Daß jedoch heutige Bildausgabeverfahren Positive mit eingeschränkter Haltbarkeit zustandebringen können, führt zu einem Kaufverhalten, das paradoxerweise gerade die jüngsten Editionen bevorzugt, vgl. PhotoNews 5, Jg. 17, Mai 2005, S. 4, dort den Aufsatz "Tagung im Fotozentrum Winterthur: Das Original - ein fotografischer Begriff in Auflösung" von Angelika Beckmann. Dazu muß jedoch schon im Vorfeld eine ausreichende Zahl an Ausdrucken z.B. für Ausstellungen existieren. Das Medium der Digitalfotografie eignet sich dafür hervorragend: Dateien zum Ausbelichten in ein Labor zu geben, macht unabhängig von Lagerungs- oder Handhabungsaspekten. Im Fall eines Übertragungsverlustes geht nicht gleich das ganze Negativ verloren (erfahrene Analogfotografen fertigen schon während der Aufnahmesituation mehrere Negative bzw. Diapositive an), sondern nur der Übertragungsmodus. Die Datei selbst hingegen kann beliebig oft übermittelt werden. - Allerdings sollten Techniken des Ausdrucks digitaler Bilder nicht über- bzw. unterbewertet werden: die Pigmenttinten werden lichtbeständiger und: es gibt auch die Möglichkeit, digitale Bilder auf Fotopapier auszubelichten (z.B. bei Lambda-Prints), damit aber auch die ganze Palette an Edeldruckverfahren zu nutzen.
Die Findung der Bildaussage in der Digitalfotografie verläuft in zwei Phasen: neben dem Sehen, das sich stetig anhand einer LCD-Vorschau revidiert, nutzen Digitalfotografinnen Bildverarbeitungsprogramme. Vor der Vervielfältigung steht die Manipulation. Diese ist erst zum Zeitpunkt der Vervielfältigung abgeschlossen: man schafft einen elektronisch aufgezeichneten Prototypen als Vorlage für die paßgenaue Ausbelichtung im "Vergrößerungsprozeß". Techniken der Entwicklungsbeeinflussung, wozu neben der Solarisation auch Abwedeln und Nachbelichten, chemische Beeinträchtigungen der Entwicklersubstanz (z.B. durch Feinwaschmittel, das während der Entwicklung in Klumpen in die Schale geworfen wird und lokale Störungen der natürlichen Farbwerte in den Positiven erzeugt), kommen aus der analogen Fotografie. Die Digitalfotografie sucht indes solche Bildeffekte schon am Computer zu generieren, man denke an die beachtliche Zahl an effekterzeugenden Filtern in den gängigen Bildbearbeitungsprogrammen.
Fragt man also, wofür man hinsichtlich der Ausarbeitung einer Aufnahme bezahlt, so sei in Bezug auf die digitale Fotografie postuliert: für eine 1:1-Kopie der Prototypendatei auf einem Datenträger mit geringer Verfallsneigung, für das Recht auf einen zeitlich beliebigen Ausdruck unter standardisierten Bedingungen nach Definition des Autors herzustellen, und für das Recht auf eine zahlenmäßig festgelegte Vervielfältigung. Das eigentliche Kunstwerk, der "Vintage Print", ist die elektronisch vorliegende Datei. Bezahlt wird nicht für das handhabbare materielle Objekt, den Abzug, sondern für die Vorlage.
Dieses Postulat wird einem der Wesenszüge der Digitalfotografie gerecht, der in ihrer elektronischen Ausarbeitung liegt und Reproduzierbarkeit unter Reduzierung des medialen Rauschens bietet. Dieses Postulat wird aber auch, soweit die standardisierten Reproduktionsbedingungen auch in 20 Jahren noch anwendbar seien, der Haltbarkeit digitaler Prints gerecht.
Es wurde oben schon angedeutet, daß die Digitalfotografie ein Sehen fördert, das sich in der Aufnahmesituation stetig revidiert. Entsprechend wird eine Auswahl an Bildern gefordert, die die Verwirklichung der Autorintention darstellen. Der Digitalfotograf wählt also aus. Hat der Digitalfotograf den Aufnahmegegenstand gefunden, agiert er spontan und vergleicht die gerade gemachte Aufnahme mit seiner Bildvorstellung. Durch dieses Vorgehen kann sich die AutorInnenintentetion jedoch auch innerhalb der Aufnahmesituation ändern.
Dies gilt in diesem Grad nicht für die Analogfotografie. Zum Zeitpunkt der Aufnahme muß die Bildvorstellung wirksam sein. Eine nachträgliche Beurteilung ist erst nach der Ausarbeitung des Arbeitsabzuges möglich. Alle Einstellungen am Gerät müssen zur Aufnahme festgelegt sein. Komposition, Perspektive, Lichtführung, Körperlichkeit, Farben- und Formensprache sowie -rhythmus: derer aller Bildwirkungen werden erst wieder im Positiv beurteilbar. Um mediengerecht arbeiten zu können, müssen analog arbeitende KünstlerInnen das Handwerkliche antizipieren und ihre Materialien kennen. So gesehen bedeutet die ungeheure Technizität des Zonensystems eine Vereinfachung durch Standardisierung aller der Aufnahme nachgeordneten Prozesse der Bildwerdung, und Fischer-Piel hat Recht. Auch daß das analoge Arbeiten mehr Zeit beansprucht, fördert ein vorgangehendes überlegtes Sehen ohne direkte Bildkontrolle, mit einer Kulmination künstlerischen Schaffens im "rechten Augenblick". Wir sprechen hier vom Kairos der Aufnahme, im Gegensatz zum digitalen rechten Augenblick der Auswahl. Der rechte Augenblick beinhaltet jedoch vielmehr als das Auslösen zum Handlungshöhep nkt, zu dem Vergangenheit und Zukunft sichtbar werden. Vielmehr kommen auch Zeit und Blende, Schärfe und Aufnahmematerial auf einen Punkt, also die Aufnahmetechnik. In der Digitalfotografie sucht man den rechten Augenblick jedoch auch dort, wo ein möglichst hohes Potential an Bildinformationen herrscht.
In der professionellen und künstlerischen Fotografie hat man das Problem der "Blackbox Dunkelkammer" mit der Sofortbildtechnik zu lösen versucht. Diese wird auch zur Kontrolle von Komposition, Ausschnitt und Belichtung eingesetzt. Sofortbilder stellen die spannendste Sorte Fotokunst: alles, was zu sehen ist, zeugt von der Intention der AutorInnen. Bildausschnitt, Komposition, Belichtung, Schärfe: hier gibt es nur noch sehr eingeschränkte Manipulationsmöglichkeiten. Weg fällt in der Sofortbildfotografie aber vor allem auch die unbegrenzt reproduzierbare Daseinsform des Werkes. Und die Haltbarkeit.
Ein weiterer Aspekt: die Bildentstehung in der Analogfotografie ist irreversibel. Die chemischen Prozesse der Entwicklung einer fotografischen Schicht laufen in eine Richtung ab. Es ist nicht möglich, eine solche Entwicklung rückgängig zu machen, ohne zu besonderen, weiteren chemischen Prozessen zu greifen. In der Digitalfotografie gibt es wenigstens in der Bildbearbeitung die Möglichkeit, auf die Datei angewendete Veränderungen rückgängig zu machen: ein Fortführen des sich revidierenden Sehens in der digitalen Aufnahmesituation, ein Sehen des Ausprobierens und Auswählens.
In der Digitalfotografie erfolgt also eine sukzessive Annäherung an das Bildkonzept, verbunden mit einer auf die AutorInnen gerichteten Modifikation der Bildfindung. In der Analogfotografie herrscht die Prävisualisierung. Modifikationen erfolgen ohne direkte Kontrolle. Bezieht man die verschiedenen Arbeitsaufwände auf das fotografische Sehen, kann man das digitale Sehen als evolutionären Fortschritt sehen. Nicht Knipserei, sondern Gestaltung wird populärer und erschwinglicher, weil der LCD-Bildschirm direkt anzeigt, wie das Bild wird und man vorerst auf kostspielige Fachlabors oder eine eigene Ausstattung zur Ausarbeitung der Prints hinsichtlich des Kontrastumfanges oder für fotografische Experimente verzichten kann. Historische Größen jener Entwicklung wären: die Erfindung des Negativ-Positiv-Prozesses auf Chlorbromsilberbasis, das Boxprinzip und der Rollfim, die Kleinbildpatrone, Großlabore und Drogerieketten.
Jedoch stellt diese Entwicklung die jeweilige künstlerische Technik nicht zur Disposition. In der Analogfotografie sind FotografInnen stärker in der Vorwegnahme der Verarbeitungsparameter und der Festlegung auf eine bestimmte Bildfindung zum Zeitpunkt der Aufnahme gefordert. In der Digitalfotografie sollten KünstlerInnen jedoch auch mediengerecht arbeiten: hier gilt es zu erkennen, was nur die Digitalfotografie zu leisten vermag, nämlich die Herstellung eines beliebig reproduzierbaren Prototypens als Resultat eines sich ständig verändernden, sich selbst hinterfragenden Sehens. Umso interessanter, wenn ein Fotograf wie Peter Schlör klassiches handwerkliches Können zeigt und schon zum Zeitprunkt der Belichtung weiß, was er will.
recenseo
Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777