Stephan Öhrlein: Die zwei Seiten des Ich. Zu den Begriffen des Ich in den Werken Meads und Lacans.
"Ich konnte mich in meiner Vergangenheit nicht
begreifen. Wie bin ich fortgeschritten zu dem,
was ich schon war? Wie konnte ich mich heute
so erkennen, wie ich mich gestern verkannt ha-
be? Und alles verwirrt sich mir zu einem Laby-
rinth, worin ich mich mit mir aus mir selber
verliere. [...] Mein Gott, mein Gott, wem wohne
ich bei? Wie viele Leute bin ich? Wer ist ich?
Was ist dieser Zwischenraum, der zwischen mir
und mir steht?" (1)
1. Einleitung
In den alltäglichen Lebensvollzügen ist der Mensch es gewohnt, seine Handlungen, sein Denken auf ein Ich zu fokussieren: Ich denke, ich glaube diese Einheit des Ich, die allen Handlungen des Menschen als eine scheinbare Invariante zugrunde liegt, wird in ihrer Einheit schnell problematisch, wenn man sie z.B. nach ihrer Genese befragt: Ist dieses Ich im Menschen schon durch die Geburt gegeben, ist es eine konstruierte Entität? Das Deutsche kennt für dieses Phänomen nur den Begriff des "Ich", während der Ich-Begriff im Englischen und im Französischen zwei Artikulationsmöglichkeiten aufweist: Das "I" und "Me" und das "Je" und "Moi". Diese schon durch die jeweilige Grammatik der beiden letzteren Sprachen indizierte Unsicherheit bezüglich der Einheit des Ich ist in der vorliegenden Arbeit Ausgangspunkt einer vergleichenden Untersuchung der Ich-Problematik anhand zweier Autoren: George Herbert Mead hat die Integration der verschiedenen Ichbegriffe in einer Identität aus sozialpsychologischer Sicht in seinem posthum veröffentlichten Werk Geist, Identität und Gesellschaft herausgearbeitet, während die Gegenposition einer Desintegration der Identität durch die psychoanalytischen Studien Lacans vertreten wird. Beide benutzen die jeweils verschiedenen Ich-Begriffe ihrer Sprache, um ihre Positionen zu fundieren, bei beiden spielt die Sprache eine entscheidende Rolle beim Erreichen bzw. Verfehlen der Ich-Identität. Herauszuarbeiten, an welchen Parametern bzw. Voraussetzungen es liegt, daß Mead und Lacan zu scheinbar völlig konträren Ergeb- nissen kommen, soll das Hauptziel dieser Arbeit sein.
Die Methode ist dabei die des Vergleiches, wobei der Katalog der Vergleichspunkte durch die Analyse von Meads Modell erarbeitet werden soll, d.h. die Erschließung des oft unverständlich anmutenden Werkes Lacans soll mit Hilfe des Begriffsinstrumentariums Meads vonstatten gehen.
Das erste Kapitel ist demzufolge der Analyse der Meadschen Bestimmungen der Ich-Identität gewidmet. Im Anschluß daran soll anhand der Eckpunkte dieses Modells ein Fragenkatalog entworfen werden, mit dessen Hilfe das Werk Lacans befragt wird. Die Beantwortung dieser Fragen wird Aufgabe des sich anschließenden Großkapitels sein.
Den Abschluß dieser Arbeit bildet eine Diskussion der Ansätze und ein Versuch der Offenlegung der jeweiligen Prämissen.
2. Das Ich als individuelles Allgemeines - Meads Ansatz der Beschreibung der Ich-Identität
2.1 Die wissenschaftlichen Traditionen Meads
Das begriffliche Instrumentarium Meads ist durch die wissenschaftstheoretischen Ordnungen seines Umfeldes vor allem im Chicago der Jahrhundertwende geprägt. (2) Gewisse Vorentscheidungen bezüglich der Wahl des Ausgangspunktes und der Wahl der Methoden seiner Untersuchungen sind dadurch bestimmt. So vereint Mead die philosophische Tradition des Pragmatismus mit der funktionalistischen Psychologie - einer Art des Behaviorismus - zu einem von ihm so genannten "Sozialbehaviorismus".(3) Die Grundbegriffe, aus denen er seine Theorie der Ich-Identität aufbaut, sind dementsprechend diejenigen der Handlung und des Verhaltens (im Sinne einer Reiz-Reaktions-Beschreibung). Die Grundidee Meads ist dabei, daß die sozialpsychologische Untersuchung der Identität
"nicht das Verhalten der gesellschaftlichen Gruppe im Hinblick auf das Verhalten der einzelnen Wesen [konstruiert], die diese Gruppe bilden. Vielmehr gehen wir von einem gesellschaftlichen Ganzen, einer komplexen Gruppenaktivität aus, innerhalb derer wir (als einzelne Elemente) das Verhalten jedes Individuums analysieren. (4)
Das bedeutet, daß auch die Bestimmungen des Individuums, die als per se individuell gelten, wie z.B. die des Ich, als von gesellschaftlichen Variablen bestimmt gedacht werden. Das gesellschaftliche Verhalten, das für Mead Denken und das Inkraftsetzen einer Ich-Identität ermöglicht, lokalisiert er in der verbalen Kommunikation.
2.2 Die Rolle der Sprache im Prozeß der Identitätsbildung
Die Rolle der Sprache bei der Genese der Identität besteht nach Mead zunächst darin, daß sie das Denken ermöglicht. "Denken" selbst versteht Mead als unterbrochene Handlung: Das Denken ermögliche dem Menschen, eine Handlung nicht in realiter auszuführen, sondern sie erst im Geiste ablaufen zu lassen, um sie dort zu analysieren. Eine spätere Handlung wäre so- mit besser zu kontrollieren. (5)
Diese Möglichkeit des Denkens sieht Mead durch die Kommunikation mit signifikanten Gesten bzw. Symbolen gegeben. Nach Mead sind signifikante Symbole Spracheinheiten mit identischer Bedeutung, wobei "identische Bedeutung" hier meint, daß ein Symbol (als Reiz) in verschiedenen Personen die gleichen Reaktionen bzw. Reaktionsgruppen auslöst. (6) Paradigmatisch für diese Art der Kommunikation mit signifikanten Symbolen sei die vokale Geste. Der Sprecher artikuliert und hört den Laut zugleich, so daß er in sich mit einem iden- tischen Symbol die gleichen Reaktionen auslöst wie im Hörer. Werden diese Gesten nun nur leise, z.B. in einem Selbstgespräch, artikuliert, kann der Sprecher die Reaktionen des Hörers antizipatorisch auf ein eigenes Handlungsziel hin verarbeiten.
"Nur durch Gesten qua signifikante Symbole wird Geist oder Intelligenz möglich, denn nur durch Gesten, die signifikante Gesten sind, kann Denken stattfinden, das einfach ein nach innen verlegtes oder implizites Gespräch des Einzelnen mit sich selbst mit Hilfe solcher Gesten ist." (7)
Mittels der Sprache wird also die Kommunikationssituation, d.h. auch die Reaktion des an- deren in der Kommunikation internalisiert. Dessen Perspektive - ausgedrückt als eine be- stimmte Reiz-Reaktions-Disposition könne somit von einem Handelnden über- bzw. einge- nommen werden. (8)
2.3 Das zugrundeliegende Modell der Sprache
Meads gesamter Ansatz beruht dabei auf der Identität des sprachlichen Zeichens, die in einem intersubjektiven Prozeß hergestellt wird bzw. wurde (9). Die Bedeutung (d.i. die Identität) des Zeichens bzw. - wie Mead es grundlegender (nicht nur für sprachliche Zeichen) ausdrückt - sein Sinn, wird in einer "dreiseitigen Beziehung" (10) hergestellt: zwischen dem Zeichen des ersten Organismus, der Reaktion des zweiten (d.h. in den ersten beiden "Seiten" über die dialogische Struktur) sowie dem Zeichen und den weiteren Phasen der kommunikativen Handlung. Die Betonung des konstruktivistischen Elements bei der Sprachbetrachtung findet sich auch bei der Bedeutungsbestimmung eines Zeichens, das sich auf Objekte der natürlichen Umwelt bezieht und das nicht im Sinne einer realistischen Referenztheorie über eine Beziehung zu einem unabhängigen Objekt definiert wird. Statt dessen werden mit Hilfe der Zeichen im intersubjektiven Handeln die Objekte - d.h. auch deren Bedeutungen erst geschaffen. (11)
Sprache wird also primär als Element und Möglichkeitsbedingung eines kommunikativ-pro- blemlösenden Handelns verstanden. Die Bedeutungen werden dabei interaktiv festgelegt, mit Hilfe der Sprache sind sie fixierbar und behavioristisch in Termini von Reiz-Reaktions-Dispositionen beschreibbar. Diese Beschreibungen werden immer wieder an die Funktion der Sprache zurückgebunden: dem Ermöglichen eines koordinierteren und kontrollierteren Handelns in einer menschlichen Gemeinschaft.
Die strukturelle Betrachtung der Sprache ist bei Mead auf deren dialogischen Aufbau fokus- siert, den er bei der Dingkonstitution, bei der Kommunikation usw. als Grundstruktur der Sprache beständig einklagt. Der Aufbau des materialen Sprachkörpers wird kaum verhandelt.
2.4 Identität als Resultat der Rollenübernahme
Das Wesen der Intelligenz besteht nach Mead - wie gesehen - im Einnehmen der Perspektive des anderen mittels der Sprache. Die Möglichkeit ist für Mead die Grundvoraussetzung für die Konstitution der Identität eines Menschen.
"Denn er bringt die eigene Erfahrung als einer Identität oder Persönlichkeit nicht direkt oder unmittelbar ins Spiel, nicht indem er für sich selbst zu einem Subjekt wird, sondern nur insoweit, als er zuerst zu einem Objekt für sich selbst wird, genauso wie andere Individuen für ihn oder in seiner Erfahrung Objekte sind; er wird für sich selbst nur zum Objekt, indem er die Haltungen [d.i. Reiz-Reaktions-Dispositionen, S.Ö.] anderer Individuen gegenüber sich selbst innerhalb einer gesellschaftlichen Umwelt [...] einnimmt [...]." (12)
Das bedeutete aber, daß die Identität umso vollständiger würde, je mehr Rollen ein Mensch einnähme, von je mehr Perspektiven er sich als Objekt betrachten könne. Dementsprechend heißt es bei Mead:
"Die Struktur der vollständigen Identität ist somit eine Spiegelung des vollständigen gesellschaftlichen Prozesses." (13)
Die genetischen Aspekte der Übernahme einer immer vollständigeren Identität veranschaulicht Mead an verschiedenen Spieltypen (14) von Kindern, die durch diese Spiele zu einer immer größeren Variabilität ihrer abrufbaren Rollen kommen: Während das Spiel ("game") dadurch geprägt sei, daß nur einzelne Rollen wie z.B. die der Mutter verinnerlicht werden, müsse beim Wettkampf ("play") die Integration verschiedener Rollen in ihren gegenseitigen Abhängigkeiten internalisiert werden. Fokus dieser Linie von ansteigenden Komplexitätsgraden der Rollen der anderen ist bei Mead der bzw. das "verallgemeinerte Andere" (15), das die Reiz-Reaktions-Dispositionen der gesamten Gesellschaft und deren Vernüpfungen in den Phasen einer Handlung beschreibt. Abstraktes, d.i. allgemeingültiges Denken ist nach Mead dementsprechend ein verinnerlichtes Handeln aus bzw. gegenüber der Perspektive des verallgemeinerten Anderen. (16)
2.5 "Ich" ("I") und "ICH" ("Me") als Bestandteile der Identität
Die bisherigen Ausführungen beleuchten primär den "Anderen", d.h. die verschiedenen Rollen, die das Subjekt einnehmen kann. Um die von Mead dual gedachte Kommunikationssituation auch in der Identität wiederherzustellen, unterteilt er den Identitätsbegriff in zwei Momente: den des ICH ("Me"), der die Gesamtheit der Positionen der bzw. des anderen beschreibt, und den des Ich ("I"), der sozusagen den subjektiven Anteil der Identität ausmacht. (17)
Das I bleibt dabei aber immer an die gesellschaftliche Dimension des Me gebunden, da es zum einen im Meadschen Modell nur aus der Perspektive des anderen betrachtet werden kann und somit als Einzelnes, nicht Gesellschaftliches aus der gesellschaftlichen Perspektive gar nicht erkannt werden könnte (als epistemologisches Argument). Andererseits kann das I gar nicht anders als durch eine Auswahl an gesellschaftlich bereitgestellten Mustern agieren, es ist somit eine Reaktion auf das Me, das durch diese Muster beschrieben ist (eine Art pragmatisches Argument). So kann man nach Mead dem I nie in Aktion ansichtig werden, sondern nur in seiner resultativen Form einer getroffenen Auswahl aus dem Me, d.h. zu einem späteren Zeitpunkt bzw. in der Erinnerung. (18) Die getroffene Auswahl des I sei dabei aber nicht determiniert. Wäre das Me der einzige Bestandteil der Identität, so wäre sie eine schlichte Repräsentation des Faktischen. Dem I kommt bei Mead eine progressive Funktion in der Gesellschaftsentwicklung zu, wobei die Neuheit eine "Neuheit in der Rekonstruktion" (19) ist, die das vorhandene Material neu ordnet. Ist dies der Fall, so bekommt das Me die reaktive Rolle, muß sich an die Neuheiten anpassen. Diese Neuordnungen des Me aber unterliegen dem Korrektiv der Allgemeingültigkeit. Als Neuheiten für das Me können sie nur gelten, wenn sie allgemeiner sind als die aktuelle Repräsentation der gesellschaftlichen Verhältnisse im Me, somit aber auch wieder mehr Platz für Individualität im Sinne eines I lassen.
"Die Forderung lautet auf Freiheit von Konventionen, von Gesetzen. Natürlich ist eine solche Situation nur möglich, wo sich der Einzelne sozusagen von einer engen und begrenzten Gesellschaft an eine umfassendere wendet, umfassender in dem logischen Sinne, daß es in ihr Rechte gibt, die weniger beschränkt sind. Man wendet sich von starren Konventionen ab, die für eine Gemeinschaft, in der die Rechte durch die Öffentlichkeit anerkannt werden sollen, keinen Sinn mehr haben, und appelliert an andere unter der Annahme, daß es eine Gruppe organisierter anderer gibt, die auf den eigenen Appell reagieren [...]. Hier haben wir die Haltung des 'Ich' im Gegensatz zu der des 'ICH'." (20)
Zusammenfassend läßt sich zu den Ich-Begriffen Meads sagen, daß sie in einer Identität vereint werden, die durch eine intersubjektive Struktur dominiert ist: die des Sich-Selbst-zum-Objekt-Machens durch die Übernahme des Anderen ins eigene Denken durch das Mittel der Sprache. Der Begriff der Gesellschaft ist hierbei eine Art Transzendentalie in bezug auf die Entwicklung des Geistes und der Identität. So ist auch das scheinbar individuelle I primär als Reaktion auf das gesellschaftliche Me konstruiert, als ein dem gesellschaftlichen Prozeß Sekundäres. Das I ist sozusagen in einer gesellschaftlichen, allgemeinen Struktur eingebettet. Einen Ich-Begriff, der primär vom Subjekt ausgeht, lehnt Mead radikal ab:
"Getrennt von seinen gesellschaftlichen Kontakten zu anderen Individuen, würde er [der Einzelne] die privaten oder 'subjektiven' Erfahrungen nicht zu sich selbst in Beziehung setzen und könnte sich seiner nicht durch diese Erfahrungen bewußt werden, nämlich als ein Individuum, als Person." (21)
3. Fragen zu einer Konstruktion der Identität
Die Fragen an Lacan betreffen nun vor allem die Struktur der jeweiligen Ich-Begriffe. Sind Lacans Begriffe auch primär gesellschaftlich, funktional auf ein Ziel (wie das der Kooperation) bestimmt?
Des weiteren ist nach der Beziehung der beiden Ich-Begriffe zu fragen, d.h. danach, wie sich ihr Verhältnis organisiert. Ein wesentliches Kriterium Meads war bei der Ich-Bestimmung der über den Anderen vermittelte Selbstbezug, der ein Selbstbewußtsein erst schaffe. Gibt es die- ses Element des Selbstbezuges auch bei Lacan?
Wie bei Mead spielt bei der Genese des Ich im Lacanschen Modell die Sprache eine entschei- dende Rolle. Hier ist die Frage nach der Betrachtung von Sprache zu stellen. Wird das Ich wie bei Mead über eine pragmatische Definition der Sprache beschrieben?
Anhand dieser Fragen, die das folgende Kapitel gliedern, soll der Ansatz Lacans unter der Perspektive der Ich-Konstitution und -Beschreibung zu erhellen versucht werden.
4. Das Ich als Individuelles und als Allgemeines - Lacans Ansatz der Beschreibung der Ich-Identität
Das Werk Lacans sperrt sich gegen hermeneutische Interpretationen und verlangt zu seinem Verständnis eine tiefgehende Kenntnis der Freudschen Theorien. Hier soll der Versuch unter- nommen werden, Lacan anhand dreier Texte, Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud und Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse in die Diskussion um die Ich-Be- griffe einzubringen, wobei an kritischen Punkten auch andere Texte des Autors herangezogen werden. Die Konzentration auf die Behandlung der Struktur der Ich-Begriffe bedeutet auch, daß der klinische Teil des Lacanschen Ansatzes hier nur marginal berücksichtigt werden wird. Eine grundsätzliche Unterstellung ist dabei die, daß in den Texten Grundmuster des Lacanschen Denkens fixiert sind, die Texte also als ein Werk gelesen werden dürfen. Der Ver- weis auf psychoanalytische Traditionen wird dabei hauptsächlich über die Sekundärliteratur erfolgen.
Der primäre Unterschied zu Mead ist bei Lacan bereits an der wissenschaftstheoretischen Tradition ablesbar. Er versteht sich als Freudianer im Sinne einer linguistischen Freudinter- pretation und hat von daher eine größere Affinität, sich mit den unbewußten Momenten des menschlichen Verhaltens auseinanderzusetzen als es der Pragmatist Mead tut, dem das hand- lungskontrollierende Subjekt als Bewußtes als Folie seiner Theorie dient.
4.1 Die Struktur von "Moi" und "Je" - Das Imaginäre und das Symbolische
Der erste Grundunterschied in der Theorie des Ich ergibt sich bei der Lektüre eines frühen Vortrags Lacans, Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, der in einer Vorfassung schon 1935 gehalten wurde. Hier führt Lacan über den Begriff des Spiegels ein Zu-Sich- Selbst-Verhalten des Subjektes ein, das primär nicht über den Anderen bestimmt ist, sondern vom Subjekt selbst ausgeht. (22) Anhand einer bestimmten Kindheitsphase (bis zum 18. Monat) beschreibt es ein durch eine Diskrepanz bestimmtes Verhalten zum eigenen Ich. Dem Empfinden einer körperlichen Zerstückeltheit durch das Subjekt begegne im Spiegel das ganze Spiegelbild, das die körperliche Pluralität von Empfindungen in diesem Modell bzw. der gespiegelten Gestalt eines Ichs integriere. Wichtig ist nach Lacan nun, daß dieses Grundmuster alle folgenden Verhältnisse des Subjektes zu seiner Umwelt steuert. Das "Moi", das durch dieses Spiegelbild beschrieben ist, sei ein narzißtisches, das bezüglich des Selbstverhaltens versuche, alle störenden Außeneinflüsse von seiner Selbstliebe (angezeigt durch die "jubilatorische Aufnahme") fernzuhalten, sowie alle Objektbeziehungen ichzentriert zu gestalten. (23) Der oder das andere werde vom Menschen nur als Projektionsfläche des eigenen Ich gesehen:
"Es ist das Bild seines Körpers, das das Prinzip jeder Einheit ist, die er an Objekten wahrnimmt. Von diesem Bild nimmt er die Einheit nur außerhalb und in einer antizipierenden [vom zerstückelten IstZustand zur Einheitswahrnehmung baut sich ein Zukunftsverhältnis auf, S.Ö.] Art und Weise wahr. Aufgrund dieser doppelten Beziehung, die er zu sich selbst hat, werden sich sämtliche Objekte seiner Welt immer um den irrenden Schatten seines eigenen Ich strukturieren. Sie werden Alle einen fundamental anthropomorphen, wir sollen sogar sagen egomorphen Charakter haben." (24)
Dieses Verhalten des Moi wird von Lacan das Imaginäre genannt und die imaginäre Beziehung zum anderen im Sinne eines exklusiven "Du oder Ich" interpretiert. (25) Das Moi müsse, um seine Zentriertheit zu erhalten, den anderen als anderen verneinen oder selbst zugrundegehen bzw. sich wieder als zerstückelt erfahren.
"Das ich (je) ist nicht das Ich (moi)." (26) Mit dieser im Deutschen paradox klingenden Formel leitet Lacan die Unterscheidung des reflexiv auf sich bezogenen Moi zum Je ein, das im Aufsatz zum Spiegelstadium an einer entscheidenden Stelle mit dem Begriff der "symbolische[n] Matrix" (27) in Verbindung gebracht wird. Dieses Je wird von Lacan im Unbewußten lokalisiert und damit in Verbindung mit der Sprache gebracht, denn es ist eine der Grundannahmen Lacans, daß das Unbewußte wie eine Sprache strukturiert sei. (28) Diese Ordnung nennt Lacan im Gegensatz zur imaginären des Moi die symbolische.
Erfolgte die Bestimmung des Imaginären über die Narzißmustheorie fast ausschließlich in psychologischen Begriffen, so greifen in der Bestimmung des Symbolischen psychologische und linguistische Termini ineinander. Ein Zugang über einen beide umfassenden Begriff, den der Struktur, scheint hier am hilfreichsten zu sein. Im folgenden sollen exemplarisch beide Perspektiven aufgezeigt werden, die nach Lacan denselben Gegenstand beschreiben. Wie schon gezeigt, ist das Moi primär über einen Mangel definiert, den Mangel nämlich, der durch die Diskrepanz zwischen dem partikularen Körperempfinden und dem holistischen Moi be- schrieben ist. Dieser Mangel als Struktur dient als Motor für alle narzißtischen Identifikationen - eben dieser Mangel läßt sich nach Lacan aber auch linguistisch-rhetorisch beschreiben, und zwar über das Konzept der Metonymie (29), die - psychologisch beschrieben - mit dem Freudschen Begriff der Verschiebung gleichzusetzen sei. (30)
Die sprachliche Strukturiertheit des Unbewußten wird hauptsächlich mit dem Saussurschen Diktum von der Bedeutungskonstitution über die Differentialität der Elemente konstruiert. (31) In der Aufteilung des Bedeutung produzierenden sprachlichen Feldes im Unbewußten in syntagmatische und paradigmatische Relationen, die beide einem Ausdruck die Bedeutung nur durch seine Stelle im sprachlichen Feld zuschreiben, d.h. durch seinen Platz bezüglich anderer Ausdrücke, wird dieses Prinzip der Differentialität aufgewiesen. Besondere Beachtung verdient dabei die Struktur der paradigmatischen Relation, die Lacan mit der Metonymie identifiziert. Demnach erhält ein Ausdruck in einer Kette seine Bedeutung durch alle Elemente, durch die man ihn substituieren kann. Mittels dieser Substitutionsmöglichkeit wird, nach Lacan, eine Leerstelle frei - der oben schon genannte Mangel, der nach dem Einsetzen von Elementen strebe (psychologisch ausgedrückt ist dies das Begehren). Lacan scheint anzunehmen, daß das Besetzen dieser Stelle mit dem Anspruch auf eindeutige Bedeutung der Wahrheit' dieser Struktur entgegenläuft, was auch die von Lacan im Vortrag Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud entfaltete Zeichentheorie andeutet. Dort wird der Vorrang des Signifikanten (des Bezeichnenden) vor dem Signifikat (dem Bezeichneten) behauptet, da letzteres von den Produktionsbedingungen des ersteren abhänge. Psychologisch gelesen wäre dieses Besetzen der Stelle mit dem Anspruch auf eine 'ganze' Bedeutung die Position des Moi, das sich dort setzt und alle Beziehungen dominiert: Der andere Signifikant (psychologisch ausgedrückt die Person) wird nicht zugelassen (Lacan nennt ihn deswegen auch den anderen mit kleinem "a"). Diese eindeutige Eins-zu-Eins-Beziehung von Signifikant zu Signifikat (die das Moi kennzeichnet) erzeugt nach Lacan also die Illusion eines eindeutig-autonom existierenden Signifikats, das durch den Signifikanten nur nachträglich bestimmt werden müsse.
"Denn dieses Ich, das man zunächst unterscheidet auf Grund der imaginären Trägheiten, die es konzentriert der Mitteilung des Unbewußten entgegenstellt, ist nur dadurch wirksam, daß es jene Verschiebung, die das Subjekt ist, mit einem Widerstand zudeckt, der dem Diskurs als solchem wesentlich ist." (32)
Dieses Moi ist also eine "zudeckende", imaginäre Fehlausfüllung der sprachlichen Struktur.
So betrachtet entspricht die Unterscheidung Imaginär-Symbolisch nicht der Unterscheidung Moi-Je, sondern steht in gewisser Weise 'quer' zu dieser. Das Moi ist auch in die symbolische Ordnung einbezogen, d.h. in einer gewissen Verwendung dieser: der 'signifikaten' oder imaginären Verwendung. Das Je aber wäre auf der Ebene der Signifikanten zu suchen, wobei es durch eine prinzipielle Mehrdeutigkeit gekennzeichnet sein müßte.
Die sprachlichen (materialen) Möglichkeiten, die das Moi in seinen Verfehlungen in der symbolischen Ordnung dabei konstituieren, müßten aus dem gesellschaftlich gegebenen Ganzen des Sprachsystems herrühren, das seine Bedeutungen schon vor dem Eintreten des Subjektes in die symbolische Ordnung fixiert hat, d.h. hier sind schon feste Bedeutungen im Sinne von festen Signifikant-Signifikat-Relationen gegeben. (33)
So gelesen hat der Begriff der symbolischen Ordnung zwei Bedeutungen. Einerseits meint er das geschlossene System einer Sprache, in deren festgelegten Signifikant-Signifikat-Verbindungen auch kulturelle Gesetze transportiert werden, andererseits bedeutet er die sprachliche Konstruiertheit des Unbewußten, das durch eben die sprachlichen Gesetze, durch die signifikante Ordnung, neue kulturelle Beschreibungen liefern kann, die das Subjekt erst in die Muster der gegebenen Sprache als Kulturträger einsetzen (das Subjekt als Signifikat wird dabei immer streng als Effekt der Signifikantenstruktur gedacht). (34)
Das Je als die signifikatsermöglichende Signifikanzstruktur der Metonymie wäre also die Möglichkeit, den 'symbolischen Vertrag' des Signifikanten mit dem Signifikat aufzukündigen und das Verhältnis neu zu beschreiben. Dieses Auflösen wäre ein Ins-Recht-Setzen der bzw. des anderen Signifikanten, psychologisch betrachtet ein Anerkennen des Anderen (mit großem "A"), das in der sprachlichen Struktur des Unbewußten gewährleistet ist.
Da eine durch eine Neubeschreibung entstandene Identität als festgelegtes Signifikat aber wieder dem Moi anheimfiele, d.h. nicht mehr Je wäre, identifiziert Lacan das Je kurzerhand mit der Möglichkeit, sich in die sprachliche Welt beständig neu einschreiben zu können, für die das sich entwickelnde Subjekt ständig neue Signifikate bräuchte.
"Nur da, wo das Wort des einen auch und zugleich das des anderen sein kann, herrscht wechselseitige Anerkennung, in der - wie Hegel schon betonte - das 'Ich das wir und wir das Ich ist'. [...] Dieser Ordnung der Sprache sich zu überantworten, heißt, auf narzißtische Omnipotenz verzichten, heißt, sich der Signifikantenkette einzuschreiben und die Offenständigkeit der Differenzen auszuhalten." (35)
4.2 Das Verhältnis von "Je" und "Moi"
Diese Interpretation Lacans wird bestätigt in der von ihm aufgezeigten Relation von Je und Moi. (36) Beide Momente nämlich sind notwendig, und es geht nicht um eine Ersetzung des Moi durch das Je, sehr wohl aber um eine Einschränkung seines Anspruchs.
"[...] die Analyse lehrt, daß das Ich [moi] eine ganz und gar grundlegende Form für die Konstitution von Objekten ist." (37)
Dies bedeutet, daß das Moi die Objektbeziehung begründet, indem es den Mangel und damit das Begehren, sich mit dem anderen zu identifizieren, einführt. Indem Lacan das Moi mit der Sprache (als einer Art fertiger, eindeutiger Struktur) und das Je mit dem Sprechen paralleli- siert, gibt er einen Hinweis auf das Verhältnis beider.
"Wenn das Sprechen sich gründet in der Existenz des Anderen, des wahren, dann ist die Sprache dazu da, um uns auf den objektivierten anderen zu verweisen, den anderen, mit dem wir alles machen, was wir wollen, einschließlich dessen, zu denken, daß er ein Objekt ist, das heißt, daß er nicht weiß, was er sagt. Wenn wir uns der Sprache bedienen, spielt unsere Beziehung zum anderen die ganze Zeit in dieser Ambiguität. Anders gesagt, die Sprache ist ebenso dazu da, um uns im Anderen zu gründen, wie um uns radikal daran zu hindern, ihn zu verstehen." (38)
Das Je wäre demnach auch eine Art Korrektiv, das das notwendige Moi beständig mahnt, daß sich seine Objektbeziehungen im Modus des Narzißmus aufbauen. Im wahren Sprechen bzw. im Sprechen zum wahren Anderen, das Differenzen hören läßt, kann sich das Subjekt seiner intersubjektiven (Be-)Gründung bewußt werden. Was dieses wahre Sprechen auszeichnet, kann eigentlich nur über einen Exkurs zur analytischen Situation der Psychoanalyse Lacans erklärt werden. (39) Nach Lacan muß der Analytiker ein "leerer Spiegel" sein, der das Moi des Patienten durch seine Passivität beständig reizt, neue Identifikationen vorzunehemen, die sich im Verlauf der Zeit - da keine Antwort kommt - verschieben. Das Moi sei um Bestätigung bemüht, erhalte diese nicht und variiere seine Muster, verschiebe sie und werde dadurch seiner Relationen zu den Anderen (als Produzenten der anderen Muster) bewußt, die es als autonomes Moi mit nur einem Muster verkannte. Dieses Verschieben in der analytischen Situation sei ein wahres Sprechen, ein Bewußtwerden der eigenen Intersubjektivität durch die im Unbewußten liegende Struktur der Sprache.
Kritische Norm bleibt bei alldem jedoch der gelungene Bezug zum anderen, der in einer gleichberechtigten Kommunikationssituation (als mit dem Anderern mit großem "A") sich seiner Gründung im Andern bewußt wird.
Es gibt augenfällige Ähnlichkeiten von Lacans Konstruktionen mit denen Meads, wie zum Beispiel die 'verschwindende' Struktur des I und des Je, die einem Bewußtsein nie unmittelbar zugängig sind, sondern nur in ihren Objektivierungen erfahren werden oder die fixe Struktur des Moi und des Me, die beide - zumindest in ihrem materiellen Sprachmitteln - gesellschaftlich bestimmt sind. (40) Doch gerade in ihrer Relation zueinander werden Unterschiede deutlich. Während die Ich-Begriffe bei Mead perfekt in einer Identität zusammenarbeiten, die alle anderen integriert, sind die Ich-Begriffe bei Lacan als eine sich widersprechende Einheit konstruiert, die in der Form des Je die 'Individualität' (im Sinne eines Narzißmus) allen Handelns zugunsten einer allen gemeinsamen Struktur der Signifikanten- und Signifikatsbildung in Frage stellt.
4.3 Die Struktur des Selbstbezuges
Grundbedingung für die Identität bei Mead ist das Sich-Selbst-zum-Objekt-Werden als ein über den anderen vermittelter Selbstbezug. Diese Struktur wird bei Lacan als eine zutiefst imaginäre beschrieben, in der der andere nur als Projektionsfläche des eigenen Ich existiert: Im anderen erkenne ich nur mich selbst. Ein Bewußtsein dessen als eine Art Beobachtung dieses Verhältnisses vom Standpunkt des anderen aus gibt es nicht. Konsequenterweise beschreibt Lacan dieses Ich/Moi auch als ein imaginäres im Sinne eines sich täuschenden, das seiner eigenen Verblendung bzw. Verkennung nicht bewußt werden kann ohne die Hilfe des Je, das seinerseits als unbewußtes nicht reflexiv erreichbar ist. Der Selbstbezug ist nur im Sprechen herstellbar, wenn die Einheit des Moi in der analytischen Situation zerbrochen wird. Diese ist aber wohl nur als temporär zu werten, da ein neues Moi bzw. ein Ich-Zentrum zum Handeln innerhalb von Objektbeziehungen vonnöten ist. Eine bleibende Konstruktion des Selbstbezuges kann Lacan in seinem Modell im Gegensatz zu Mead also nicht leisten.
4.4 Das Modell der Sprache und ihre Funktion
Zusammenfassend läßt sich zur Verwendung der Sprache im Lacanschen Denken sagen, daß sie vor allem synchron betrachtet wird, d.h. in ihren Strukturen, weniger in ihren pragma- tischen Aspekten der Bedeutungsverständigung und -genese im interaktiven Handeln. So werden Sprachgesetze wie die paradigmatischen Relationen auf psychische Zustände über- tragen bzw. diesen gleichgesetzt. Im Vergleich zu Mead ist es hier eine Innenperspektive, die aus der Sprache die Gesetze des psychischen Apparates ableitet, während sie bei Mead - ausgehend von der gesellschaftlichen Handlung - in einer Art Außenperspektive funktionalisiert werden kann. Nicht zufällig ist es bei Mead die vokale Geste, ein Frühprodukt der Sprache, von der seine Untersuchung ausgeht und durch die er eine Berücksichtigung der Sprache als System umgehen kann.
Bei beiden aber liefert die Sprache die Möglichkeit der Ich-Bildungen, die in den jeweiligen Strukturen, der Dialogstrukur bei Mead und der 'Signifikanten-Struktur' bei Lacan die Grundlage für die Ich-Bestimmungen bilden. (41)
5. Lacan und Mead - Die (Wieder-)Herstellung der kommunikativen Idealsituation
Wie gesehen, setzt der Meadsche Begriff der Ich-Identität eine gelungene Kommunikation schon voraus, d.h. ein gegenseitiges Festlegen einer identischen Bedeutung eines Zeichens. Die mißlungene Kommunikation schließt Mead somit aus seiner Identitätskonzeption aus. Dabei betrachtet er diesen Prozeß eher phylogenetisch (bzw. diachron) und zeigt die Isolierung einer Bedeutung in einer bestimmten Situation der gesellschaftlichen, nicht der individuellen Sprachentwicklung. Dabei trägt er aber dem Umstand, daß diese Bedeutungen - synchron betrachtet - beim Eintritt eines Subjektes in die Sprache schon festgelegt sind, keine Rechnung. Genau dies scheint der Punkt zu sein, an dem Lacan seine Ich-Begriffe plaziert: Die Ich-Begriffe Lacans sind extensiver als die Meads. Sie umfassen auch die mißlungene Kommunikation bzw. die den anderen nicht beachtende Beziehung im Begriff des Moi, das die "fertigen" Zeichen als autonom-real annimmt und somit den Prozeß des Schaffens dieser Bedeutungen nicht vollzieht. Erst das Anerkennen einer gemeinsamen Sprachstruktur, der der Signifikanz, kann den Anderen erfahrbar machen. So könnte man die Funktion des Je gerade darin sehen, die Kommunikation durch die Integration der Sprache ins Unbewußte zu ermöglichen und die Verständigungssituation, die Anerkennung des Anderen (die Mead für die Identität vorausssetzt) für den Moi-Je-Komplex als Identität erst im Nachhinein zu erschaffen. Deswegen betont Lacan auch beständig die Bewegung der Signifikanten, die die Skepsis gegenüber schon festgelegten Bedeutungen anzeigt. (42) Wahre Verständigung wäre demnach eine Situation, in der das Je sich in seiner Funktion im Zusammenbrechen des Moi und der Realisierung der Metonymiestruktur als existent erfährt. Einem reflexiven Betrachten durch das Moi ist es in diesem Moment natürlich per definitionem nicht zugänglich.
"Wir befinden uns also in der problematischen Situation, daß es kurzgesagt eine Realität von Zeichen gibt, innerhalb deren eine vollständig von Subjektivität entblößte Welt der Wahrheit existiert, und daß es andererseits einen historischen Fortschritt der Subjektivität gibt, der deutlich ausgerichtet ist auf das Wiederfinden der Wahrheit, die in der Ordnung der Symbole liegt." (43)
Das bedeutet, daß wir als autonome Subjekte (als fixiert-autonome Signifikats-Signifikant- Verbindungen) in der Sprachstruktur nicht existieren, sondern nur als eine negative Leerstelle (die der Metonymie), die auf alle substituierbaren anderen Signifikanten verweist, da diese Stelle nur durch den Verweis auf alle anderen Signifikanten ihre Signifikanz erhält. Als Moi jedoch haben wir eine 'geleaste' Identität, die wir uns in einer wahren Kommunikation als Erkennen einer Verfehlung des Je (d.i. der Anderen) erst zu eigen machen müssen.
Dieses Verhältnis der beiden Ich-Konstruktionen scheint sich in den Grundbegriffen der Konzeptionen von Mead und Lacan schon anzudeuten. Während bei Mead der Begriff der Kooperation, des gemeinschaftlichen Handelns dem Modell zugrunde liegt, ist es bei Lacan der Begriff des Mangels, der die Ich-Bestimmungen präfiguriert. Der Mangel braucht ein Mißverhältnis, das Lacan in der Beziehung des Subjekts zu seiner Umwelt lokalisieren muß, während Mead durch die schon gegebenen identischen Bedeutungen von Zeichen in der Gesellschaft (die ja das Entwickeln einer Identität ermöglichen) den Konflikt Subjekt-Gesellschaft eigentlich schon im Ansatz aus seiner Konzeption herausnimmt. Die Möglichkeit der Kritik an einer Gesellschaft, die sich Lacan damit erarbeitet, scheint aber durch die Aufgabe eines autonomen Subjektbegriffs als ein verkennendes Moi in ihren Realisierungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. In einer Umkehr der konventionellen Freudinterpretation, die das "Es" in das Moi 'heben' will, heißt es im Lacanschen Denken:
"'Wo es war soll Ich [Je] werden' heißt, konsequent weitergedacht, daß kein Ich-zentriertes Subjekt entsteht, sondern ein dezentriertes Subjekt ankommen soll, das 'Ich' sagt." (44)
Das gesellschaftliche Handeln eines desintegrierten Ich aber wird bei Lacan nicht beschrieben. Fraglich bleibt, ob diese Strukturen des psychischen Apparates Anleitungen zu einem richtigen Handeln geben können, wie es z.B. durch die Aufforderung, den anderen zu integrieren und mit ihm zu kooperieren, bei Mead der Fall ist. Der Lacansche Beitrag zur Intersubjektivitätsdiskussion ist auf jeden Fall der, aufgezeigt zu haben, daß es den Bezug zum Anderen, der bei Mead kaum hinterfragt wird, in verschiedenen Modi gibt, die diesen Bezug auch 'von innen' her kritikfähig machen. (45)
Anmerkungen
6. Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Stephan Öhrlein, 01.12.1998
recenseo
Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777